Was ist richtig?
Das werde ich oft gefragt beim Unterrichten von Feldenkrais Lektionen. Ob etwas richtig oder falsch ist, ist in der Regel ganz davon abhängig, was man tun möchte, welche Absicht man verfolgt und was man an Besonderheiten oder Eigensein mitbringt. Jemand der hinter einem Bus her rennt, wird anders atmen, als jemand, der Einschlafen möchte. Und jemand mit Skoliose wird sich beim Bewegen anders organisieren, als jemand ohne.
Beim Feldenkrais ist es „richtig“, eine Bewegung zu erforschen, sie auszuprobieren, zu probieren, wie mache ich eigentlich diese Bewegung und gibt es einen Weg sie noch leichter, fließender, angenehmer zu machen? Da kann es auch mal „richtig“ sein, etwas bewusst „falsch“ zu machen, wenn es uns hilft, verstehen zu lernen, wie wir etwas leichter, angenehmer und angemessener tun können.
„Wenn ihr nicht wisst, was ihr tut, ist es falsch. Auch wenn ihr das Gegenteil tut von dem, was ich sage, ist es richtig, wenn ihr wisst, dass ihr das Gegenteil tut. Wenn ihr es nicht wisst, ist es falsch, selbst wenn ihr macht, was ich sage, ist es falsch, wenn ihr dabei nicht wisst was ihr tut.“ Dr. Moshé Feldenkrais
Vielleicht ist es beim Feldenkrais falsch, etwas mechanisch zu tun, weil man dabei nicht fühlt was man tut und somit auch nicht lernt und den Umgang mit sich selbst zu erlernen, ist eine Absicht der Methode. Fürs Autofahren kann es goldrichtig sein, etwas mechanisch zu tun und nicht erst lange auszuprobieren, welche Möglichkeiten zu bremsen es noch geben könnte und wie sich das dann anfühlt.
Wiederholung ist kein gutes Mittel zu grundlegendem Lernen, aber sie ist nützlich, um ein schon Erreichtes vertraut werden zu lassen. (Dr. Moshé Feldenkrais, Die Entdeckung des Selbstverständlichen)
In der Frage nach richtig oder falsch steckt vielleicht auch der Wunsch nach Halt und Sicherheit. Und wenn etwas nicht richtig ist, ist es dann gleich falsch? Schließt ein Richtig alle anderen Möglichkeiten aus, auch richtig sein zu können?
Bewusst oder unbewusst schwingt eine Bewertung mit, in der Feststellung, ob etwas richtig oder falsch sei. Und vielleicht ist die Frage nach Richtig oder Falsch nicht „nicht richtig“ sondern einfach nicht hilfreich?
Um zu einer richtigen Bewegung zu gelangen, ist vorerst eher an bessere Bewegung zu denken als an richtige; denn die richtige Bewegung hat keine Zukunft: sie lässt sich nicht weiter entwickeln. (…) Das Bessere kann verbessert werden; das Richtige bleibt Grenze für immer. (Dr. Moshé Feldenkrais, Die Entdeckung des Selbstverständlichen)
Stattdessen könnte man sich fragen: Wie kann ich es verbessern? Wie kann es leichter oder angenehmer werden? Wie stimmig fühlt es sich im Moment für mich an? Tue ich wirklich das, von dem ich glaube, dass ich es tue? Ist dies meine einzige Option oder gibt es noch mehr Möglichkeiten? Wie kann ich tun, was ich tun möchte?
„Machen Sie ruhig viel falsch! Ich meine das sehr ernst, denn wir sind erzogen in lauter Angst vorm Falschmachen. Diese Sorge betrügt uns mit am wirkungsvollsten ums lebendige Leben. Das Prestige, die Geltung scheint für die meisten davon abzuhängen, dass niemand etwas an ihnen aussetzen kann. Hat man einen Fehler gemacht, ist man zufrieden, wenn er von niemandem bemerkt wird. (…) Fast alle Beunruhigtheit und Angst kommt daher, dass man anstatt zu sein, wie man im Moment sein kann, sich Mühe gibt, zu scheinen. Ob wir das bewusst oder unbewusst tun, spielt keine Rolle. Wir wollen auch vor uns selbst immer irgendwie „aussehen“, „erscheinen“. Das ist die Belastung, die wir unserer Erziehung verdanken.“ (Heinrich Jacoby, Jenseits von Begabt und Unbegabt)
Winter ist auch vom Sommer träumen.