Langeweile
Als Kind habe ich mich manchmal gelangweilt. Die Vorschläge meiner Eltern, was ich mit meiner Zeit anfangen könnte, waren durchweg sinnvoller Natur und hätten vielleicht sogar geholfen. Aber mich schreckten sie nur ab. Zimmer aufräumen oder Hausaufgaben machen, versprach mir keine Erlösung von diesem unangenehmen Gefühl der Langeweile, eher im Gegenteil. Also zog ich mich zurück und lag missmutig in meinem Zimmer herum. Mir blieb nichts anderes übrig, als das Gefühl auszuhalten. Und wenn ich das lange genug tat, kam immer von irgendwoher ein Impuls und meistens wurde ich kreativ, begann etwas zu erschaffen, geriet in ein „Gesummse“ und in die wundervolle Stimmung der Verbundenheit.
Manchmal langweile ich mich beim Feldenkrais, ja, ich gebe es zu. Dann liege ich da und denke: „Jetzt das Gleiche noch mal auf der anderen Seite, ojeh!“ oder „Was, noch eine Variante?“ oder „Wie spät es wohl sein mag?“. Und wenn ich mich dann einlasse, auf die Langeweile, auf das was ich spüre, entdecke ich immer etwas und die Langeweile ist verflogen.
Wenn wir uns langweilen, erleben wir einen Zeitraum als sinnlos und vertan. Vielleicht ängstigen wir uns vor der Leere, weil es dort nichts mehr zu geben scheint, an dem wir uns festhalten können? Wer sich langweilt, erlebt das meist als unangenehm, es ist wie etwas nicht annehmen zu wollen. Dabei kann Leere per se nicht unangenehm sein, wo nichts ist, kann auch kein Gefühl gebunden sein. Es ist also unsere Haltung dem Zustand gegenüber, freie Zeit zu haben und unser Unvermögen, die Gegenwart sinnvoll zu gestalten oder in ihr eine Sinnhaftigkeit zu entdecken. So ist Langeweile auch immer der empfundene Verlust von Selbstbestimmung, wir wissen nichts mit dem Moment anzufangen.
Wer guckt heute beim Warten noch einfach so vor sich hin und langweilt sich ein bisschen? Wer hält die Übergänge im Leben aus, ohne sie gleich zu füllen, z. B. wenn wir nach Hause kommen oder eine Sache beendet und die nächste noch nicht begonnen haben oder von A nach B fahren? Und dient vielleicht auch die viele Selbstoptimierung der Verhinderung von leeren Zeiten (in denen sich sonst womöglich unsere ganze Kreativität entfalten könnte)? Und ist es wirklich sinnstiftend womit wir uns da dauernd beschäftigt halten?
Wenn in der Gegenwart das Gefühl von Langeweile dominiert, bietet es sich an, dieses Gefühl nicht als Missstand sondern als Ereignis zu betrachten und neugierig zu studieren. Zulassen, aushalten und dem Unbehagen standhalten, bis die Situation uns offenbart, was sie für uns bereit hält. Langeweile motiviert, nach Sinn zu suchen. Das Wort Sinn entstammt dem indogermanischen sent, gehen, reisen, fahren, oder dem althochdeutschen sinnan, reisen, streben, trachten, oder dem lateinischen sentire, empfinden, wahrnehmen. Sich ein wenig bewegen, streben, empfinden und wahrnehmen klingt irgendwie nach Feldenkrais?